40 Millionen Mädchen müssen schuften
»Ich arbeite in einer Ziegelei und schleppe Steine. Für 200 Steine
bekomme ich sechs Rupien. Mir tut die ganze Zeit der Nacken weh.« Ein
Ziegelstein wiegt fünf Pfund - zweihundert Steine also fünfhundert
Kilo. Sechs Rupien sind umgerechnet 8 Cent. Das sind die Zahlen, die Swaroopas
Leben bestimmen. Das Mädchen ist zwölf Jahre alt.
Im Frühjahr 2003 nahmen 800 Mädchen auf Einladung der indischen
Kampagne gegen ausbeuterische Kinderarbeit an einem Kongress für arbeitende
Mädchen in Mysore teil. 40 Millionen Mädchen, so schätzt die
Kampagne, müssen in Indien arbeiten, statt zur Schule zu gehen. Insgesamt
gibt es 85 Millionen Kinder unter 15 Jahren, die nicht zur Schule gehen können.
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Zahlen, die die indische Regierung nicht gerne hört. Was sich dahinter
verbirgt, darüber berichteten Swaroopa und 39 andere Mädchen während
des Kongresses vor einer Jury: Da ist Rinku, 14 Jahre als aus Uttar Pradesh,
die in einer Fernfahrerkneipe Geschirr wäscht: »Meine Hände
sind ganz wund. Die Besitzer der Kneipen stellen vor allem Mädchen ein,
weil dann mehr Fahrer kommen. Andauernd machen sie anzügliche Sprüche
und versuchen, uns anzufassen.« Sujata, elf Jahre alt aus West Bengalen,
arbeitet in einer Garnelenfabrik: »Den ganzen Tag sitze ich im Eis.
An den Händen und Füssen habe ich Frostbeulen und das ganze Jahr über
bin ich erkältet und huste.« Mona Saha, 14 Jahre alt aus West-Bengalen,
arbeitet als Müllsammlerin und Hausmädchen: »Ich arbeite,
weil wir sonst nichts zu essen haben. Alle in meiner Familie arbeiten. Sogar
meine Großeltern. Ich sollte zum Doktor, denn wenn ich huste, kommt
Blut aus meinem Mund.«
Geraubte Kindheit
Kein Ort, an dem nicht Mädchen arbeiten: Seiden- und Baumwollspinnereien,
Ziegeleien, Edelsteinschleifereien, Salzgewinnung, Zigarettenproduktion (indische
handgerollte Beedis), Haushalte und Müllhalden, Kneipen und Restaurants,
Landwirtschaft und Steinbrüche. Die Jury, bestehend aus Prominenten
und hochrangigen Richtern, kritisierte die Politik scharf: »Wir sprechen
alle Politiker, die seit der Unabhängigkeit die Geschicke unseres Landes
bestimmen, schuldig. Sie haben unsere Verfassung verletzt, in der festgelegt
ist, dass alle Kinder zur Schule gehen sollen. Sie haben weder dafür
gesorgt, dass alle Menschen ihr Recht auf Leben verwirklichen können,
noch haben sie das Recht auf Arbeit und auf Bildung für alle umgesetzt.
Damit haben sie indischen Kindern ihre Kindheit geraubt und sie unglaublicher
Grausamkeit ausgesetzt.«
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Die Jury wies außerdem darauf hin, dass Mädchen besonders gefährdet
sind und häufiger sexueller Belästigung, Mangelernährung und
der Ansteckung mit HIV/AIDS ausgesetzt sind. Das aktuelle Gesetz gegen Kinderarbeit
müsse dringend reformiert werden. So gilt die Arbeit in fremden Haushalten
als ungefährlich und ist erlaubt - ungeachtet der Tatsache, dass Millionen
oft noch sehr kleiner Mädchen unter ausbeuterischen Bedingungen als
Dienstmädchen schuften.
Kampf gegen die Ausbeutung
Die Kampagne gegen ausbeuterische Kinderarbeit - ein Zusammenschluss von 700
nicht-staatlichen Initiativen, Lehrerverbänden und Gewerkschaften -
fordert die Umsetzung des Rechtes auf Grundbildung. Um die Situation von
Mädchen bekannter zu machen, ruft die Kampagne jetzt ein »Jahr
der arbeitenden Mädchen« aus und wird mit Aktionen im ganzen Land
für Aufmerksamkeit sorgen.
Swaroopa ist inzwischen wieder zu Hause. Sie arbeitet weiter in der Ziegelei. »Der
Kongress war so schön. Ich musste eine ganze Woche lang nicht arbeiten.
Es gab sehr leckeres Essen und wir haben gesungen und getanzt.« Swaroopa
geht neuerdings in eine Abendschule. Sie lernt begierig, trotz der langen Arbeitstage.
Denn zur Schule zu gehen, das ist ihr großer Traum.
terre des hommes unterstützt in Indien 34 Projekte mit einem Volumen
von 718.000 Euro im Jahr 2003. Viele dieser Projekte setzen sich für
das Ende ausbeuterischer Kinderarbeit ein. Die meisten terre des hommes-Projekte
richten sich an Mädchen und Jungen, 14 Projekte sind speziell für
Mädchen. terre des hommes unterstützt die indische Kampagne gegen
Kinderarbeit.
Spendenkonto terre des hommes
Kontonummer 700 800 700
Volksbank Osnabrück e.G.
BLZ 265 900 25
Weitere Spendeninformationen sowie die Möglichkeit zur Online-Spende
finden Sie unter www.tdh.de/spenden/.
Barbara Küppers, terre des hommes
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