Leben auf dem Müll
Ein Projekt für arbeitende Kinder in Maputo/Mosambik
In der Mittagssonne ist es auf der Müllhalde von Hulene kaum zu
ertragen. Der Gestank des Mülls, der Qualm der schwelenden Feuer mischen
sich mit dem Schweiß, der in Strömen fließt. Die Kleidung
klebt am Körper, Haut und Haare stinken nach Müll.
So sehen sie aus, die Mülldeponien der Dritten Welt. Hier wird nichts
sortiert, es gibt keine Rauchgasfilter und keine Drainage zum Schutz
des Grundwassers. Hier wird alles abgekippt, von giftigen Chemikalien
bis zu verfaulten Lebensmitteln.
Die »Lixeira« von Hulene ist die größte Müllkippe
in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks. Für Hunderte ist dies der tägliche
Arbeitsplatz. Kinder rennen schreiend hinter den vollen Müllwagen her,
die auf das Gelände fahren. Sie springen auf den fahrenden Laster, klammern
sich daran fest, um einen guten Platz zu haben, wenn der Müll abgekippt
wird. Oft gibt es schwere Unfälle.
Kinder verdienen hier ihren Lebensunterhalt, indem sie Plastik oder Metall
sammeln, das man an Schrotthändler weiterverkaufen kann. Andere Mädchen
und Jungen suchen nach Spielzeug, oder wenigstens nach Dingen, aus denen
man ein Spielzeug machen kann. Gebrechliche Alte suchen nach Essen.
Niemand beaufsichtigt das Treiben auf der Deponie, niemand kümmert sich
darum, wenn es Streit und Schlägereien gibt. Die gibt es ständig:
Wenn ein jüngeres Kind etwas Brauchbares findet, kommen oft größere
und nehmen es weg. Wenn sie großzügig sind, geben sie sich damit
zufrieden, ihren Anteil am Verkaufserlös zu kassieren. Es ist eine raue
Schule des Lebens. Früh lernen die Kinder die erste Lektion: Wer nicht
kämpft, geht unter.
Erbe des Krieges
Aus den endlosen Brettersiedlungen an den Ausläufern Maputos kommen
die Kinder hierher. Der Stadtrand afrikanischer Metropolen: Hier versammeln
sich die Versprengten, die ihre Dörfer verlassen mussten, weil
sie dort nicht überleben konnten. Vielfältig sind die Gründe,
die die Menschen in die Slums der Städte treiben: Die Einen geben ihre
Felder auf, nachdem Dürre oder Überschwemmung die Ernten vernichtet
hat. Andere werden verjagt - vielleicht auf Grund des Gerüchts, sie
seien mit AIDS oder einer anderen Krankheit infiziert. Auch Witwen müssen
oft die Heimat verlassen, weil sie nach dem Tod des Mannes kein Recht
auf Landbesitz haben.
In den Elendsvierteln Maputos ist außerdem die Kriegsvergangenheit Mosambiks
lebendig: Viele Familien hat es während des Bürgerkrieges hierher
verschlagen, der das Land fast 30 Jahre lang verwüstet hat. Endlose
Ströme von Flüchtlin gen kamen in Maputo an; Kriegswitwen mit ihren
Familien, Waisenkinder, Opfer von Landminen. Ihnen bot die Hauptstadt zwar
keine Chance, der Armut zu entkommen, aber wenigstens eine Zuflucht vor der
Gewalt des Krieges.
So sind die Kinder der Müllkippe von Hulene auch Kinder des Krieges -
selbst wenn sie ihn gar nicht mehr selbst erlebt haben. 1992 wurde der Friedensvertrag
zwischen der sozialistischen FRELIMO-Regierung und den rechtsgerichteten
Rebellen der RENAMO unterzeichnet. Doch die zerrissenen Familien, die durch
die Kriegswirren hier gelandet sind, bevölkern auch heute die Elendsviertel
der Hauptstadt. Sie gehören ebenso zur Erbschaft des Krieges wie die
Kinder, die obdachlos auf den Straßen Maputos leben oder auf der Müllkippe
nach brauchbaren Abfällen suchen.
Etwa 300 Kinder kommen täglich zur Arbeit auf die Deponie. Die meisten
von ihnen haben noch Kontakt zu ihren Familien in den Slumsiedlungen. Manche
gehen jeden Abend dorthin zurück, andere verbringen die meiste Zeit
auf der Straße. Wieder andere leben ständig auf der Müllkippe:
Aus Abfällen gebaute Hütten säumen den Rand des Geländes;
bewohnt werden sie von Kindern und Jugendlichen, die sich hier direkt
neben ihrem Arbeitsplatz angesiedelt haben. Die meisten Kinder von Hulene
haben nie eine Schule gesehen.
Schule auf der Müllkippe
Ein Verein kümmert sich um die Kinder auf der Mülldeponie. Mit Unterstützung
von terre des hommes wurde neben der »Lixeira« ein offenes Zentrum
eröffnet. »Wir bieten den Kindern der Mülldeponie eine Zuflucht,
wo sie Ansprechpartner finden, wo sie medizinisch versorgt und beraten werden«,
erklärt Suzana Machavela, die das Projekt leitet. Täglich können
die Kinder ein Mittagessen bekommen, das in der Suppenküche des Zentrums
zubereitet wird. Doch das Projekt »Lixeira« bietet noch mehr:
Etwa 90 Kinder und Jugendliche haben die Arbeit auf der Müllkippe aufgegeben
und die Chance ergriffen, die ihnen das Zentrum bietet. Sie erhalten Schulunterricht
und handwerkliche Kurse wie Tischlern, Kochen, Nähen oder Korbflechten.
In einem kleinen Verkaufsraum werden Produkte angeboten, die in den Werkstätten
gefertigt werden. Dabei wird sogar Müll von der benachbarten
Kippe kreativ verarbeitet: So werden Kronkorken zu kleinen Matten verknüpft,
die dann als billige Topf-Unterlagen verkauft werden.
»Die Kinder, die hier arbeiten, haben ein hartes Leben«, weiß Suzana
Machavela. »Wir wollen ihnen helfen, ihren Weg zu finden - heraus aus
dem Müll.«
Das Projekt »Lixeira« wird jährlich mit 15.000 Euro von terre
des hommes unterstützt.
Stephan Stolze, terre des hommes
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