Kinderarbeit ist fast weltweit verboten. Etwa 211 Millionen
Kids bleibt aber gar nichts anderes übrig als zu schuften, denn
sie müssen
sich und ihre Familien ernähren, ver.di PUBLIK will gezielt helfen
und unterstützt einen Spendenaufruf für terre des hommes. Die
Organisation beteiligt sich u.a. in Indien an einer Bildungskampagne:
den Kinderarbeitern eine Zukunft geben. Die Sonne steht fast senkrecht. Der Asphalt unter Maria Valdelomars
Badelatschen ist weich. Noch etwa 30 Sekunden, dann springt die Ampel
auf Grün. Maria schlängelt sich zwischen zwei Autoreihen hindurch,
mehrere Fahrer schütteln den Kopf. Die Zeit wird knapp. Endlich
beugt sich die 12-Jährige über eine brennendheiße Kühlerhaube
- ein paar Kreiselbewegungen mit dem Schwamm, den Gummischaber nachziehen,
andere Seite, fertig. Als der Mann am Steuer das Seitenfenster hochkurbelt,
schlägt Maria wütend gegen das Blech.
Schulgeld und Uniform sind unbezahlbar - und wer kauft sonst das Essen?
Acht, manchmal zehn Stunden am Tag treiben sich Maria und ihre ältere
Schwester auf einer Kreuzung in der Nähe der Kathedrale Managuas
herum. Wenn es gut läuft, haben die beiden nicaraguanischen Mädchen
am Abend umgerechnet jeweils 1,30 Euro eingenommen - den Preis von zwei
Kilogramm getrockneten Bohnen. Doch anders geht es nicht: Ihre Mutter
allein könnte die fünfköpfige Familie nicht ernähren. „Ich
will nicht immer auf der Straße sein müssen. Ich würde
so gerne zur Schule gehen", formuliert Maria ihren Traum. Aber zum
einen könnte sie in der Zeit ja kein Geld verdienen, und zum anderen
sind Schulgeld und -uniform für ihre Familie unbezahlbar.
Die 10-jährige Uanda Wete aus dem 130 Kilometer entfernten Jinotega
hat es besser. Zwar beginnt auch ihr Arbeitstag an einem Gemüsestand
morgens um sechs. Doch um elf ist Schluss. Dann schlendert sie zum „Club
infantil". Dort finden in Zeiten, wenn es auf dem Markt wenig Kundschaft
gibt, Lese- und Rechenkurse statt. Seit einem Jahr besucht Uanda am Nachmittag
sogar eine richtige Schule. Die Mitarbeiter vom „Club infantil" haben
mit dem Direktor ausgehandelt, dass sie ohne Unterrichtsgebühren
teilnehmen darf. „Meine Schuhe, Stifte und Hefte kaufe ich selbst",
erzählt das Mädchen stolz, das später selbst Lehrerin
werden möchte. Unterstützt wird das Projekt unter anderem von
der Hilfsorganisation „terre
des hommes".
Kinderarbeit resultiert aus Armut - und verschärft sie
Auf der anderen Seite des Globus im südindischen Karur verfolgen
die Mitarbeiter von „Psycho Trust" einen ähnlichen Ansatz,
und auch sie bekommen finanzielle Unterstützung von terre des hommes.
Im Distrikt weben 25 000 Kinder für 40 bis 80 Cent am Tag Staubtücher,
nähen Tischdecken oder schleifen künstliche Edelsteine - Glitzer
für Ketten, Christbaumkugeln und Schuhe. Weil Kinder noch scharfe
Augen haben, Nichtaufmucken, weniger Lohn bekommen als Erwachsene und
leicht betrogen werden können, werden sie besonders gern angestellt,
berichtet „Psycho-Trust"-Leiter Christu Raj.
Erst abends um acht kann der Unterricht im Zentrum der Organisation
beginnen. 40 Mädchen und Jungen hocken auf dem Boden, jeder hat
ein kleines Heft und einen Bleistift in der Hand; für eine bessere
Ausstattung hat das Geld bisher nicht gereicht. Weil die Kinder müde
sind und sich nach dem langen Arbeitstag nicht mehr lange konzentrieren
können, wird nach zehn Minuten Rechnen erst einmal ein Lied gesungen.
Auch ansonsten soll der Spaß in der Abendschule nicht zu kurz kommen.
Neben dem Unterricht für Kinder unterstützt Psycho Trust auch
Jugendliche bei der Berufsausbildung und Mütter, sich selbstständig
zu machen und dadurch mehr Geld zuverdienen. Denn eines ist klar: Wo
viele Kinder arbeiten, drücken die Unternehmen die Löhne weiter
nach unten. Viele Erwachsene finden überhaupt keinen Job mehr. Ein
Teufelskreis: Kinderarbeit resultiert aus Armut - und verschärft
sie zugleich.
Zwar hat die überwältigende Mehrheit aller Länder ein
internationales Verbot von Kinderarbeit unterschrieben und deklariert
den Schulbesuch zur Hauptbeschäftigung von Mädchen und Jungen.
Zugleich kommt eine aktuelle Studie der Internationalen Arbeitsorganisation
(ILO) zu dem Schluss, dass der volkswirtschaftliche Nutzen einer allgemeinen
Schulbildung deren Kosten um den Faktor 6,7 übersteigt. Doch tatsächlich
arbeiten welt-weit211 Millionen Kinder unter 15 Jahren - Tendenz steigend.
Die meisten von ihnen schuften unter ausbeuterischen Bedingungen und
oft ohne jede Chance, später mal ein besseres Leben führen
zu können.
Dabei sind nur etwa zehn Prozent der Kinderarbeiter in Betrieben beschäftigt,
die Textilien, Kaffee, Teppiche, Ziegel oder andere Waren für den
Weltmarkt produzieren. Die meisten arbeiten dagegen im so genannten informellen
Sektor als Hirten, Händler, Hausmädchen, Schuhputzer oder Erntehelfer
- in Bereichen also, wo es keinerlei Verträge und Sozialleistungen
gibt. Ein offizielles Verbot von Kinderarbeit nützt ihnen wenig
und bewirkt manchmal sogar das Gegenteil: Erwachsene Händler können
sie schlagen oder vertreiben, ohne dass die Kinder das Recht auf Unterstützung
hätten.
Außerdem sind Kinder zwar von den Lohnlisten vieler
Plantagenbesitzer verschwunden, nicht aber von den Feldern. Die Folge
zum Beispiel in Lateinamerika: Sie haben jetzt keinen Anspruch mehr auf
ein Mittagessen.
Indien: Ein starkes Bündnis für die Schulpflicht
Der erfolgversprechendste Weg ist deshalb eine Stärkung der Kinder
- und das vor allem durch Bildung. In Indien, dem Land mit der höchsten
Rate an Kinderarbeit, haben sich 700 Organisationen zur Kampagne gegen
ausbeuterische Kinderarbeit zusammengeschlossen. Beteiligt sind Gewerkschaften,
Lehrerverbände, Bürgerinitiativen und Frauengruppen. Ihre wichtigste
Forderung: Die sofortige Umsetzung der allgemeinen Schulpflicht. Denn
obwohl das Recht auf Grundbildung in der indischen Verfassung festgeschrieben
ist, gehen 70 Millionen Kinder unter 14 Jahren nicht zur Schule. Landesweit
fehlen rund 100000 Grundschulen. terre des hommes beteiligt sich an der Kampagne und unterstützt
parallel konkrete Hilfsprojekte vor Ort. Weil dieser Weg eindeutig sinnvoll
ist, hat der ver.di-Bundesvorstand einen Spendenaufruf zur Unterstützung
der Kampagne beschlossen.
(von Annette Jensen / ver.di
Publik, April 04, Brennpunkt)
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